Bergtod
Bergsteigen
Leidenschaft zwischen Eros und Thanatos
Bergsteigen
Leidenschaft zwischen Eros und Thanatos
In einer Gesellschaft, die sich zunehmend gegen jedes Risiko versichert, scheint es unsinnig, dass gerade in der Freizeit gerne hohe Risiken in Kauf genommen werden. Dennoch erfreuen sich gefährliche Sportarten wie Gleitschirmfliegen, Bungee Jumping, River Rafting oder Base Jumping zunehmender Beliebtheit. Diese Trendsportarten erreichen nicht zuletzt auf Grund der häufigen tödlichen Unfälle eine grosse mediale Präsenz. Als älteste sportliche Betätigung im alpinen Raum nimmt der klassische Alpinismus, bei dem es darum geht, auf einen Berggipfel zu steigen, dabei eine Sonderrolle ein, weil die neuen Formen des alpinen Sports meist Neuinterpretationen des klassischen Bergsteigens sind. In den gut zweihundert Jahren seit den ersten Besteigungen in den Alpen haben sich spezifische Rituale und eine reichhaltige alpine Literatur entwickelt.
Diese Arbeit geht anhand wissenschaftlicher und literarischer Texte der Frage nach, wie insbesondere beim Alpinismus, die Lust am Leben und die lustvolle, sportliche Betätigung in der Nähe des möglichen Todes zusammenhängen. Ich beginne mit Elias Canettis ablehnendem Blick auf den Tod, betrachte, was Sigmund Freud gegen Ende seines Lebens über den Tod gesagt hat, beobachte die Sicht von Bergsteigern und wende zuletzt den Blick zurück in die Literatur, um zu erfahren, was Imre Kertész zum Verhältnis von Eros und Thanatos zu sagen hat.
Elias Canetti schöpft die Kraft für sein Werk zu einem grossen Teil aus dem Widerstand gegen den Tod. Canetti hat ein Leben lang seine Gedanken zum Tod zusammengetragen. Seine Erben haben sie 2003 in einem Bändchen herausgegeben. Canetti wehrt sich nicht gegen die Tatsache des Todes, sondern er hasst ihn aus tiefstem Herzen als den Feind des Menschen. Canetti transformiert seine Verzweiflung über den Tod in die Hoffnung, dass die Menschen, die er in seinen Texten beschreibt, so lange immer wieder auferstehen, wie jemand ihre Geschichten liesst.
Eine viel pragmatischere Stellung gegenüber dem Tod nimmt Sigmund Freud ein. Für ihn als Psychoanalytiker ist der Tod unverbrüchlicher Teil des Lebens. Er siedelt in „Das Unbehagen in der Kultur“ in der Nähe des lebensschöpfenden Triebes Eros den Todestrieb, Thanatos an. Obwohl er diese Idee in seiner Forschungsarbeit anfänglich mehrere Male verwirft, gelangt er zur inneren Überzeugung, dass es keine andere Möglichkeit geben könne, als die, dass Eros und Thanatos systemisch zusammengehören. Freud vermutet, dass zwischen den beiden anscheinend so unterschiedlichen Trieben eine untrennbare Verbindung besteht, und dass beide immer nur in der Beziehung zum andern bestehen können, sie sich also gegenseitig bedingen. Während Freud den Eros als das Prinzip des Zusammenfügens zu immer komplexeren Systemen versteht, bezeichnet er Thanatos als das Prinzip der Dekonstruktion, als die Rückführung des Lebens in seine anorganische Vorstufe.
In „Geschichte des Todes“ bestätigt Philippe Ariès die Nähe von Eros und Thanatos. Anderseits zeigt er einen eindrücklichen Aspekt auf, in der Veränderung der Sterbegewohnheiten in der westlichen Welt: Die Totenkulte werden laut Ariès in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend bescheidener. Die Trauer nimmt einen immer privateren Charakter an. Ariès bezieht sich auf den englischen Anthropologen Geoffrey Gorer 1905–1985 der feststellte: „....dass im 20. Jahrhundert die Trauer so tabuisiert wird, wie ein Jahrhundert davor die Sexualität.“ Mit Blick auf diese Unterdrückung der Wahrnehmung des Todes in der Öffentlichkeit ist auffallend, dass dem Tod, der unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet, ein zunehmendes Interesse entgegengebracht wird. Katastrophenfilme, Mord und Totschlag füllen Kinosäle und Fernsehprogramme. Während seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Tendenz zum verborgenen Sterben im Spital beobachtet werden kann, zu einem heimlichen und der Öffentlichkeit entzogenen Sterben also, und der Tod und besonders das Sterben praktisch ganz aus dem öffentlichen Raum verbannt wurde, gleicht die Neugier des Publikums am öffentlichen Sterben in den Bergen der schauerlichen Lust beim Betrachten einer mittelalterlichen Höllendarstellung. Durch die Beobachtbarkeit wurde im 20. Jahrhundert das Bersteigen in manchen gut einsehbaren Routen zu einem modernen Totentanz. Ich beziehe mich da auf den Österreichischen Bergsteiger und Autoren Heinrich Harrer. Er beschreibt im Buch über die Eigernordwand, „Die weisse Spinne“ wie sich vor den Teleskopen auf der Kleinen Scheidegg jedes Mal, wenn sich Seilschaften in die Wand wagten, dichte Trauben von Menschen versammelten und den in den Anfängen erfolglosen Bergsteigern durch ihre Ferngläser beim Sterben zusahen. Bevor die erste Durchsteigung gelang, sind acht Bergsteiger vor den Augen eines neugierigen Livepublikums und der Journalisten der Weltpresse gestorben. Selbst der bis zu seiner Bergung 1959 über zwei Jahre tot in der Wand hängende Stefano Longhi war als Attraktion geeignet, bei guter Sicht Menschen scharenweise anzulocken. Genau das, was in dieser Zeit aus den privaten Räumen in Spitäler verlegt und medikalisiert wurde, erregte grösstes Interesse der Menschen, wenn es sich als Spektakel im alpinen Raum darbot. Rainer Rettner geht im Buch „Eiger, Tragödien und Triumphe“ soweit, dass er in ausführlichem Bildmaterial die zerschmetterten Körper derer zeigt, die am Eiger abgestürzt sind. Während die Meute der Schaulustigen darauf wartet, dass vor ihren Augen jemand aus der Wand stürzt und nach vielen hundert Metern, wo er sich überschlagend am Fels zerschmettert wird, zuletzt als blutiger Klumpen aus Knochen, Fleisch und Stofffetzen unter der Wand im Geröll tot oder sterbend aufschlägt, dabei ein voyeuristisches Bedürfnis nach Sensation und Grausen befriedigt, ist dieser Absturz nach Ansicht vieler Experten für den Stürzenden eine durchaus angenehme Erfahrung. Der deutsche Bergsteiger und Sicherheitsexperte Pit Schubert zitiert in seinem Buch “Sicherheit und Risiko in Eis und Fels“ den Schweizer Geologen und Alpenerforscher Albert Heim folgendermassen: „Die Abstürzenden erleben nicht etwa Todesangst oder andere schreckliche Empfindungen, auch keine Verzweiflung oder Pein. Der Abstürzende erkennt zwar sehr bald, dass dieser Sturz wohl mit dem Tod enden wird, doch er empfindet dies im Rahmen eines äusserst angenehmen Gefühls und einer ungeheuren Gelassenheit....Das Bewusstsein erlischt schmerzlos, kurz nach dem Moment des Aufschlagens, der höchstens noch gehört, niemals aber mehr schmerzend empfunden wird.“ Heim behauptet in seinem Text, der Abstürzende höre in der Zeit des Sturzes, die ihm hundertfach verlängert vorkomme, schöne Musik und erlebe wahre Glücksgefühle. Der gleiche Text wird auch in einem Artikel im Spiegel 41/1978 zitiert. Heim bezieht sich dabei auf eigene Absturzerfahrungen und Aussagen von Dritten. Wenn man diesen Aussagen glauben will, so kann man den Moment des tödlichen Absturzes als den gleichsam orgiastischen Höhepunkt des Bergsteigens bezeichnen, den letztlich jeder Bergsteiger unbewusst anstrebt. So wäre der tödliche Sturz der Ort, wo sich Eros und Thanatos lustvoll vereinen. Heute bietet die Internetplattform youtube die Möglichkeit, solche Unfälle auch zuhause in der guten Stube mitzuerleben. Trotz Albert Heims Versicherungen, dass der Absturz für den Stürzenden nur Freuden bereithalte und keinerlei Schmerz, ist die Angst und ihre Überwindung ein ständiges Thema im Alpinismus. So schreiben Philipp Felsch, Beat Gugger, Gabriele Rath im Vorwort zu „Berge, unverständliche Leidenschaft“ dass zu den wesentlichen Erfahrungen des Bergsteigers die Angst als ein fester Bestandteil des physiologischen Ausnahmezustandes (>Flow) gehört, in den man beim Bergsteigen kommt. Unfall und Tod behaupten ihren festen Platz im Sinnhorizont von Bergsteigern. So verbindet die Bestimmung zur Todesnähe Soldaten und Bergsteiger und es verwundert nicht, dass alpinistische Expeditionen in den Anfängen militärischen Eroberungszügen und Belagerungen glichen, bloss wurden keine Länder erobert, sondern Berggipfel. Im gleichen Buch beschreibt Paul Veyne in einem Artikel, dass der französische Alpenclub 1874 nach dem verlorenen deutsch - französischen Krieg von 1871 explizit gegründet wurde, um die Revanche gegen Deutschland vorzubereiten. Damit wird die militärische Bedeutung des Bergsteigens hervorgehoben und es erklärt auch, warum Expeditionen in den Himalaja lange Zeit militärisch organisiert wurden. Ranghohe Offiziere wurden zur Organisation herangezogen und diese bestimmten auch, wer wann eine Chance zum „Gipfelsturm“ bekam. Die Nazis stilisierten die Toten der beiden Besteigungsversuche von 1934 und 1938 am Nanga Parbat als Sinnbild für deutsches Heldentum und Opferbereitschaft und stellten sie ideologisch bei gleichbleibender Terminologie neben die Gefallenen von Stalingrad. Der Nanga Parbat gilt bis heute als der deutsche Schicksalsberg.
Eine junge Bergsteigergeneration um Reinhold Messner, mit einem neuen demokratischen Bewusstsein, definierte für sich in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Alpinen Stil. Statt an den Bergen mit Hilfe von Hochträgern kilometerweise Fixseile anzubringen, bestiegen sie grosse Berge in einer kleinen Gruppe gleichberechtigter Bergsteiger. Aber auch die vermehrte Präsenz von Frauen in den schwersten Routen dürfte zur „Entmilitarisierung“ des Bergsteigens beigetragen haben. Frauen stiegen zu allen Zeiten auf Berge und leisteten dabei Erhebliches, doch die Genderfrage erhitzte in den Anfängen des Bergsteigens die Gemüter, und die Männer waren ob des weiblichen Eindringens in ihre Domäne verunsichert. Obwohl Lucy Walker schon sechs Jahre nach der Erstbesteigung als erste Frau auf dem Matterhorn stand, reichte das nicht, um den Frauen grundsätzliche Anerkennung unter den Bergsteigern zu sichern. Die Aufnahme im SAC wurde ihnen von 1907 bis 1979 verwehrt. Die erste Bergführerin der Schweiz, Nicole Niquille hatte anfangs einen schweren Stand in ihrem Beruf und musste lange um die Anerkennung durch ihre männlichen Kollegen ringen. Da Frauen in den Hütten nur etwa ein Viertel der Übernachtungen ausmachen, erscheinen sie auch in der Unfallstatistik seltener als Männer. Nachdem der SAC seit 1978 auch Frauen aufnimmt, haben sie sich ins SAC Clubleben integriert und gehören soweit dazu, dass sie in vielen Statistiken nicht gesondert aufgeführt werden.
Mihaly Csikszentmihalyi beschreibt den Flow allgemein, und beim Felsklettern im Besonderen, als „positive Sucht“, im Gleichgewicht zwischen Anforderung und Fähigkeit. Bei Versuchen ergab sich, dass Personen, die auf ihre tägliche Glücksdosis verzichten mussten, mit Entzugserscheinungen reagierten. Der deutsche Soziologe Stefan Kaufmann beschreibt in seinem Artikel “Technik am Berg“ das Klettern in Mihaly Csikszentmihalyis Definition als Deep Play. Das heisst eine Tätigkeit, die intrinsisch motiviert, mit Selbstverwirklichung verbunden ist und tiefe Sinneserfahrungen ermöglicht. Ein anderes Stichwort dazu ist Sensation seeking. Ich verweise dafür auf die Arbeit „Flow-Erleben beim Lesen, ein EEG Experiment“.
Kaufmann differenziert Extremes und Nichtextremes Bergsteigen durch die bewusste Inkaufnahme der Todesgefahr bei den Extremen. „Für den Extremen konvertiert die Todesnähe zum Lebenselixier“. Kaufmann fährt fort, dass das Bergsteigen einen seiner Existenzgründe verlieren würde, wenn man die absolute Sicherheit einführen würde, wie dies beim Autofahren beispielsweise von fast allen Menschen begrüsst würde. Seit Berge bestiegen werden, gibt es Diskussionen darüber, welches die richtige Art ist, dies zu tun. Wer die Todesgefahr mit langen Reihen von Bohrhaken in rissfreiem Fels entschärft, stösst in vielen Kletterkreisen auf den Vorwurf des unethischen Kletterns. Wer die Todesgefahr also nicht in Kauf nimmt, gilt in der Szene als unethisch. „By fair means“ ist das dazugehörige Stichwort.
Die Leidenschaft des Bergsteigers kann auch als wahre Leidenschaft erlebt werden. Als Leiden, das durch die Bergsteigerei bekämpft wird. So beschreibt John Harlin jr. im Buch „Die Wand der Wände“, wie er vierzig Jahre nachdem sein Vater in der Eigernordwand tödlich verunglückt ist, sein Lebenstrauma des Vaterverlustes überwindet, indem er selber im Alter von 49 Jahren durch diese Wand steigt. Er beschreibt, dass er an genau dieser Stelle, wo sein Vater infolge eines durchgescheuerten Fixseiles abgestürzt war, erstmals für den Vater gar keine Gefühle mehr hatte. Jetzt war es seine Wand und mit jedem Schritt, den er weiter ging, machte er sich die Wand mehr zu eigen.
Im Bergsteigen kommt der Mensch sich selbst und seinen Gefühlen sehr nahe. Die Auseinandersetzung mit der Gefahr führt, wie vielfach versichert wird, zu grössten Glücksgefühlen. Todesgefahr kann aber nicht nur bei einigen Bergverrückten zu Glücksgefühlen führen. Der ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz ist als einer der letzten Auschwitzüberlebenden sozusagen ein Experte des Überlebens. Er erwähnt im Alter von 80 Jahren in einem Interview (im TA Magazin Nov. 09), dass es im KZ Auschwitz durchaus Glücksmomente gegeben hatte, wenn die absolute Todesnähe zu spüren gewesen ist. „Ich empfand die radikalsten Momente des Glücks in den Konzentrationslagern. Man kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, eine zehnminütige Pause einzulegen während der Arbeit. Sehr nahe am Tod zu stehen, ist auch eine Form des Glücks.“
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