Dienstag, 10. November 2009

Über die Ikonographie des alpinen Todes



Grabstein mit Seil und Pickel

Seil und Pickel auf einem Grabstein zeigen an, dass jemand beim Bergsteigen verunglückt ist. Doch mancher Grabstein in den Bergen erzählt die Geschichte von Heldentum oder von einer verlorenen Liebe.

Kein Bergsteiger würde sich als lebensmüde bezeichnen, und doch verunglücken in den Alpen alljährlich mehrere hundert Menschen tödlich. Seit die Alpenvereine DAV, SAC und ÖAV Statistiken über die Unfallzahlen in den Bergen führen, bleibt die Zahl der tödlich verlaufenden Bergunfälle unvermindert hoch. Zwar hat sich sowohl die Ausrüstung der meisten Berggänger als auch die Rettungstechnik wesentlich verbessert, doch die Zahl der Toten bleibt angesichts der immer zunehmenden Schwierigkeiten der Routen und einer steigenden Beliebtheit von alpinen Risikosportarten in etwa gleich.

So hat sich in den Alpenländern eine eigene Ikonographie des Bergtodes entwickelt und mit den Jahrzehnten entsprechend dem veränderten Bewusstsein gewandelt. In Grindelwald und Zermatt liegt der Friedhof neben der Kirche und gewährt einen unverstellten Blick auf die Berge, deren Opfer hier die letzte Ruhestätte gefunden haben.

Das Matterhorn schaut drohend über die Kirche auf den Zermatter Friedhof und in Grindelwald bietet der Gottesacker einen angsteinflössenden Blick in die grauschwarze Eigernordwand, wo schon über 50 Alpinisten den Tod gefunden haben. Viele von ihnen liegen in unmittelbarer Nähe der Wand, die ihnen das Leben bedeutet hat.

In Chamonix liegen berühmte Bergsteiger neben unbekannten, es gibt dort eine ganze Abteilung, wo nur Bergsteiger zu liegen kommen. Die gesellschaftliche Bedeutung des Bergsteigens lässt sich so an Hand der Grabsteine aus verschiedenen Zeiten ablesen. Neben Namen und persönlichen Daten erwähnen viele Steine auch den Berg, wo der Begrabene den Tod gefunden hat. Im 19. Jahrhundert wurde der Tod in den Bergen mit romantischen Gedichten und Steinhauereien dargestellt. Auf dem Grab des Pfarrers zu Brighton, der 1841 am Schreckhorn den Tod fand, wird behauptet, dass es ohnehin besser sei, bei Christus im Himmel zu sein als auf der Erde. Jedes Zeitalter hat seine eigene Wahrnehmung und Interpretation des Todes, so wurde er denn auch lange Jahrzehnte mystifiziert. Mut und Treue wurden als männliche Tugenden heraufbeschwört und wenn der Unfall Soldaten betraf, was in der Schweiz immer wieder vorkommt, wurde auch dies immer speziell erwähnt. Erst das ausgehende 20. Jahrhundert zeichnete sich durch eine zunehmende Versachlichung aus. Doch die Insignien des Alpinisten, Seil und Pickel, sieht man auf Gräbern aus allen Zeiten.

Die Gletscher des Mont Blanc Gebirges sind ausgesprochen zerklüftet und haben schon Dutzende von Opfern nicht wieder hergegeben. So trägt eine ganze Wand des Friedhofsgebäudes in Chamonix Tafeln aus Granit oder Marmor zur Erinnerung an niemals aufgefundene Bergsteiger. Hier hängen Gedenktafeln für bekannte und unbekannte Alpinisten aus der ganzen Welt nebeneinander. Manche erzählen von Bergabenteuern, manche nennen schlicht die Lebensdaten. Ein trauernder Hinterbliebener erwähnt, dass seine schöne Valerie sich 1990 mit dem Berg vermählt habe. Gleich daneben erinnert eine Tafel an eine junge Münchnerin, die einen Tag nach ihrem 15. Geburtstag in einer Gletscherspalte verunglückt ist und deren Leiche nicht geborgen werden konnte.

Bergsteigergräber sind Gräber für meist junge Menschen, die aus der vollen Blüte ihrer Jahre gerissen wurden und die eine trauernde Familie und viele Freunde hinterlassen. Entsprechend werden sie häufig sehr individuell gestaltet und über viele Jahre von Eltern und Partnerinnen sorgfältig gepflegt.

Der französische Spitzenalpinist Lionel Terray hat in Chamonix als Grab eine Art steinumrundeten Alpengarten bekommen, und auf einer Holztafel steht neben einem martialischen Pickel sein Name und der seiner viel später verstorbenen Gattin. Er war an der ersten Expedition beteiligt, bei der ein Achttausender bestiegen wurde. Nicht weit davon liegt das Grab eines der berühmtesten und umstrittensten Bergsteigers aller Zeiten: Der englische Zeichner und Schriftsteller Edward Whymper stand als erster Mensch auf dem Matterhorn und hat infolge der Tragödie, welche die Gruppe beim Abstieg ereilt hatte, lebenslange negative Publizität erreicht. Man warf ihm vor, das Seil, an dem die gestürzten vier Kameraden hingen, durchschnitten zu haben, um sich selber zu retten. Bewiesen wurde der Vorwurf aber nie. Eine verwitterte Marmortafel erinnert 98 Jahre nach seinem Tod in Chamonix an ihn.

Bergführer nehmen nicht nur in den Bergen eine Sonderstellung ein. Der Beruf gilt in den Berggebieten als eine besondere Auszeichnung, braucht er doch einen besonderen Mut und grosse Besonnenheit. Ohne diese Tugenden lebt es sich in den Bergen gefährlich. Bergführer nehmen auch auf den Friedhöfen eine Art Sonderstellung ein. Stirbt einer von ihnen bei der Ausübung seines gefährlichen Berufs, so tragen ihn die Bergführerkollegen zu Grabe. Auf dem Stein wird in jedem Fall die Berufsbezeichnung „Bergführer“ angegeben, auch wenn einer im hohen Alter im Bett gestorben ist.


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