Donnerstag, 24. September 2009



Selbst auf dem Stadtgebiet von Zürich gibt es Bergtote. 
Nicht nur in der berüchtigten Fallätsche oberhalb von Leimbach sondern auch auf dem normalen Üetlibergweg stürzten schon bekannte Alpinisten ab. 
Dies berichtete die NZZ a, 3.10.08

Montag, 14. September 2009

Himalayastatistik
nach Elizabeth Hawley und Jan Kielkowski


Annapurna (8.091 m)
Der gefährlichste Achttausender

Die "Göttin der Ernte"


Die Annapurna wurde zwar schon 1951 als erster Achttausender erstbestiegen. Und sie ist mit 8.091 Metern fast 800 Meter niedriger als der Welthöchste. Doch ihre Gefahren sind vielfältig. Sogar die "Normalroute" von Norden her ist durch extreme Lawinenhänge, Gletscherbrüche und Eisstürze bedroht. Annapurna bedeutet in der Sprache Einheimischer "Göttin der Ernte". Auf ihrem Gipfel standen bisher nur 106 Menschen. Insgesamt kamen bei Besteigungen, Versuchen, Auf- und Abstiegen an der Annapurna 55 Menschen ums Leben. Das heißt: Auf zwei erfolgreiche Besteigungen kommt ein Todesopfer.

Die Statistiken basieren auf Chroniken von Elizabeth Hawley (Kathmandu) und Jan Kielkowski. Hawley dokumentiert seit Jahrzehnten die Fakten für den Himalaya Nepals, ihr Kollege die Achttausender in Pakistan und Tibet. Die Datenreihen reichen von Albert Frederick Mummery auf dem Nanga Parbat (1895) bis zum heutigen Massentourismus auf dem Everest (Stichtag 31. Dezember 2000).


Berg /Höhe m/ Gipfelerfolge / Todesfälle

Mt. Everest /8850 / 1.314 / 167
Cho Oyu / 8201 /1.211 / 28
Gasherbrum II /8035/ 520 /16
Dhaulagiri / 8167 / 298/ 55
Broad Peak /8047 /233 / 18
Manaslu / 8163/ 198/ 51
K2 /8611 / 189 /49
Nanga Parbat / 8125 / 186/ 61
Shisha Pangma /8027 /180 /19
Makalu /8463/ 167 / 20
Gasherbrum I/ 8068 / 162 / 17
Kantschendzönga /8586 / 162 / 39
Lhotse/ 8516 / 151/ 9
Annapurna / 8091/ 109/ 55
Gesamt / 5080 / 604

Daraus ergibt sich, dass im Schnitt auf 100 Gipfelbesteigungen 8,41 Bergsteiger ihr Leben lassen, oder dass die Überlebenschance bei etwa 1 : 12 liegt. Will man also alle 14 Achttausender besteigen, brauch man mehr als die statistische Überlebenschance.
Das wird in der alpinen Szene nicht ausgeblendet, sonder ist den Höhenbergsteigern durchaus bewusst. Gerne umgeben sich Höhenbergsteiger mit dem Mythos des Besonderen, des Abenteurers.

"Killerberge" und Publikumsmagneten
Der Nanga Parbat folgt in der bitteren Statistik der Todesopfer an den Achttausendern – mit einem Verhältnis zwischen Toten und Gipfelerfolgen von 1:3,1 - hinter der Annapurna an zweiter Stelle. Erst an dritter Stelle steht der gefürchtete K2 mit einem Verhältnis von 1:3,4. Vierter ist der Manaslu (1:3,7) mit seinen gefährlichen Lawinen. Der von der Boulevardpresse und sogar von Fachmedien so ausgeschlachtete Mt. Everest kommt bei der Gefährlichkeit unter allen 14 Riesen erst an siebenter Stelle (1:7). Das hat unter anderem mit dem heute fast hemmungslosen Einsatz von künstlichem Sauerstoff und der Hilfe durch Hochträger, Bergführer und Sherpa-Hochträgern zu tun.

Weniger gefährliche Achttausender
Das geringste Todesrisiko hat der Cho Oyu mit einem Toten gegenüber 47 erfolgreichen Besteigungen. Er wird deshalb am stärksten vermarktet. Danach folgen der Gasherbrum 2 und der Zentralgipfel des Shisha Pangma (1:31). Der nur wenige Meter höhere Hauptgipfel des Shisha Pangma ist risikoreicher und daher viel seltener bestiegen (1:9). Dann folgen Gasherbrum 1 (= Hidden Peak) mit 1:10 und Broad Peak mit 1:12.

Lhotse ist das Mauerblümchen
Der Lhotse ist als direkter Nachbar des Mount Everest ein Spezialfall. Er zählt mit 8.516 Metern zu den "hohen" Achttausendern. Sein Gipfel ragt südöstlich des South Col weit in die Todeszone. Nach der Annapurna gibt es hier die insgesamt wenigsten Besteigungen, nämlich nur 129. Obwohl der Lhotse eine schöne, eigenartige Form aufweist und alpinistisch von mehreren Seite spannend wäre, interessieren sich fast alle, die in die Region kommen, ausschließlich für den direkt benachbarten Mount Everest als Gipfel aller Eitelkeiten. "Sie laufen am Lhotse achtlos vorbei", so beschreibt es dessen Erstbesteiger, der Schweizer ERNST REISS in einem Interview gegenüber GERALD LEHNER. Reiss und Fritz Luchsinger erreichten 1956 erstmals den Gipfel.
Hier ein Artikel von Oswald Oelz aus dem Tages Anzeiger. Oelz ist ein erfolgreicher Spitzenbergsteiger mit Besteigungen der höchsten Berge auf allen Kontinenten. Ausserdem war er Chefarzt des Zürcher Triemlipsitals und ist ein scharfzüngiger Schreiber und Vortragsredner.
Sein neuestes Buch "Mit Eispickel und Stethoskop" geht der Frage nach dem Sinn des Bergsteigens nach. Er kommt zu einem Schluss, der sich etwa so zusammenfassen lässt: "Es ist absoluter Unsinn, macht aber furchtbar Spass."
Seine Seite ist: http://www.oswald-oelz.ch/index.php

Donnerstag, 10. September 2009



Chrüz St. Antönien. 9.9.09

Mehr als 26 Jahre nach dem Unfall am Chrüz vom 27.2.1983 gehe ich mit meiner Studienkollegin Gabriele zum Chrüz, wo sich zwei schwere Lawinenunglücke ereignet haben.
Beachte das Interview mit Raimund und Erika Steinhoff in diesem Blog.



Die Tafel, die die Sektion Konstanz DAV hat anbringen lassen, erinntert auch an die Opfer des Unglücks von 1947.

An dem verhängnisvollen 27. Februar 1983 stieg ich mit einer Gruppe von St. Antönien auf.
Der Lawinenbericht fürs Wochenende war im damaligen System der Gefahreneinstufung auf Stufe 3. Mässige örtliche Schneebrettgefahr. Kammnahe Steilhänge mit Triebschneeansammlungen können zu vereinzelten Lawinenabgängen führen. Unter dieser Gefahrenstufe gab es die Stufe 1: Keine Lawinengefahr, die gibt es nur, wenn kein Schnee liegt, und geringe örtliche Lawinengefahr. Die wurde nur an ganz wenigen Tagen pro Jahr erklärt, in manchen Jahren gar nie.
Eine weitere Schwierigkeit der Gefahrenabschätzung war, dass die Bulletins des Schweizerischen Instituts für Schnee und Lawinenforschung in Davos sich nur auf Gelände unter 2500 m.ü.M. bezogen, Skitouren aber häufig über diesem Bereich durchgeführt werden. Bei der gegeben Einstufung des Institutes hätte also eine nach alpinistischen Einschätzungen geringe Gefahr herrschen sollen, eine Lawine auszulösen. Doch dann kamen zwei Faktoren ins Spiel, welche die Sachlage grundlegend veränderten:
1. liegt die Mulde am Chrüz nach NO gerichtet, bekommt im Winter nie Sonne, so dass sich die Schneedecke nicht verfestigen kann. Durch die NO Lage wird bei Westwind Triebschnee, der eine sich schlecht verbindende kugelige Struktur hat, in die Mulde eingeweht, wo sie an den Hängen im Luv, der vom Wind abgekehrten Seite des Berges, liegenbleibt. Dadurch erhöht sich die Gefährlichkeit zusätzlich.

Auf dieser Karte habe ich den Aufstiegsweg und den Bereich eingezeichnet, wo die Lawine abgegangen ist.

2. Am 27.Februar erreichte eine Warmfront die Alpennordseite, die Temperatur stieg gegen null Grad und heftiger Schneefall auf eine mit einer Eislamelle überzogenen Schneedecke verlangten nach einer grundlegenden Neubeurteilung.

Zwei von unserer Gruppe wollten sich an dem Tag auf dem Gipfel verloben. Bei der Alp Valpún treffen wir auf eine fröhliche Gruppe deutscher Skitourengänger, die wir vorher schon von weitem gesehen haben, wie sie in Einerkolonne eine Spur durch den Wald gezogen haben. Wir plaudern miteinander, machen Scherze und sprechen kurz über die Route. Dann steigen die Deutschen, die sich für den Westgrat entschieden haben im dichten Nebel und Schneefall weiter. Auch wir brechen kurz darauf auf. Der Neuschnee ist mit der Unterlage nicht verbunden, sobald ein Hang etwas über 30 Grad steil ist, rutscht er auf der eisigen Unterlage weg. Als wir auf dem Nordostgrat, wo der Neuschnee weitgehend weggefegt ist, etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, sieht unser vorderster Mann durch den aufreissenden Nebel, dass am Gipfel eine Lawine niedergegangen ist. Er geht etwas näher an den Gratabbruch und sieht jemanden mir einer roten Jacke, dessen Beine im Schnee stecken, auf einem riesigen Lawinenkegel um Hilfe rufen. Von seinen Kameraden keine Spur. Sofort versuchen wir zu ihm hinunter zu fahren, was aber in den steilen Hängen nicht geht, da diese sofort wegrutschen und drohen, auch uns zu verschütten. Wir müssen eine kleine Strecke zurück abfahren und dann wieder aufsteigen. Dabei geht wertvolle Zeit verloren. Wir schicken zwei gute Skifahrer ins Tal, um Hilfe zu organisieren. Von unserer Gruppe sind einige nicht in der Lage, sich um de Verletzten zu kümmern, sie sind zu sehr geschockt und bräuchten selber Betreuung. Als ich selber zur Unfallstelle komme, hat der erste, der sich selber befreien konnte, schon einen Kameraden soweit freigelegt, dass er atmen konnte, und bei einem weiteren hatte er angefangen den Kopf auszugraben. Bald finden wir mit den Verschüttensuchgeräten VSL weitere Verschüttete und graben sie mit den Lawinenschaufeln, die zu jeder Skitourenausrüstung gehört, aus. Nur die ersten drei haben noch eine spontane Atmung, die nächsten haben schon Herz- und Atemstillstand. Alle haben den schweren Schnee in Nase und Mund gedrückt, so war kein einziger Atemzug möglich. Einen Mann von diesen können wir ins Leben zurückholen, er fährt am Abend sogar mit dem Auto heim nach Konstanz.
Beatmen ist an toten oder tief ohnmächtigen Personen erstaunlich schwierig, da ihre Gesichtsmuskulatur ausweicht und keinen Widerstand gibt. Den Kiefer vordrücken, die Lippen aufeinander zu pressen, damit die Luft nicht durch den Mund entweicht und durch die Nase Luft in den Körper zu blasen ist viel schwieriger als im Erste Hilfe Kurs. Ausserdem kann man sich im klumpigen Lawinenschnee nicht richtig hin kieen, man bekommt in einer meist verdrehten Lage selber kaum Luft. Wenn ein Kollege dann für die Herzmassage dreimal nacheinander kräftig auf den Brustkorb des Verunfallten drückt, spritzt einem dessen Mageninhalt ins Gesicht. Nach kurzem muss ich mich gegen kräftigen Brechreiz wehren, doch ich kann die ganze Zeit über an mich halten. Wir haben vier Personen zu versorgen, bis jemand ruft, eine Person fehle noch. Ich stehe auf, und übergebe meinen Platz jemandem. Beatmen ist sehr anstrengend, man braucht Pausen. Mit dem VSL war schon gesucht worden, ohne Erfolg. Die Deutschen haben VSL des Systems Pieps, das auf einer andern Frequenz arbeitet, als das Schweizer Barryvox. Daher müssen wir mit ihren Geräten suchen. Pieps ist auch nicht so zuverlässig wie Barryvox. Da man im Lawinenschnee nicht richtige gehen kann und ständig einbricht und stürzt reisst es einem auch die Ohrhörer, die zum Pieps gehören aus den Ohren. Wenn man wieder steht, hat man die Richtung verloren, in der man gesucht hat und die Ohrhörer sind voll Schnee und geben kein klares Zeichen mehr her. Ich bin mir sicher, dass an einer Stelle noch eine Person liegt und fange rein von der Intuition gesteuert an zu graben. Bald stosse ich in der Nähe eines Person, die zwar noch grösstenteils verschüttet ist, aber selbständig atmet auch auf einen Skischuh, ich denke, der müsste zu dieser Person gehören, dann müsste sie aber das Bein sehr schmerzhaft verdreht haben. Doch bald zeigt sich, dass es die noch gesuchte Person ist.
Erst nach zwei Stunden kommt der Helikopter langsam durch den Nebel. Sofort springt ein Regaarzt aus der Maschine und kommt zu uns. Er sieht, dass es viel mehr Verletzte Personen gibt, als er erwartet hat, und fängt hektisch mit Untersuchungen an. Bei zwei Verschütteten sieht er noch Hoffnung auf Rettung, da ihre Pupillen noch auf das Licht seiner Taschenlampe reagieren. Seine Versuche zur Reanimation mit einem Defibillrator zeigen aber keine Wirkung, obwohl sich die Personen unter dem Stromstoss aufbäumen und die eine danach einen spontanen Atemzug andeutet.
Die beiden Personen, bei denen noch eine gewisse Hoffnung auf Rettung besteht, werden in den Helikopter verladen und fliegen mit dem Arzt ins Spital Schiers. Dort wurde dann später nur noch ihr Tod festgestellt. Wir sind wieder allein und müssen versuchen die verblieben Unfallopfer soweit es unsere Kräfte erlauben, weiter zu beatmen. Ein weiterer Heli kommt über die Krete geflogen und mit ihm ein Arzt aus dem Tal. Er ist ruhig, was auch uns eine gewisse Sicherheit und Ruhe zurückgibt, er fragt auch, wie es uns gehe, dann werden die Personen, die wir bis dahin unter Aufbietung unserer ganzen Kräfte beatmet haben auf Bahren in den Helikopter geladen. Der Heli vom Typ Alouette 3 hat zwei Halterungen für Bahren, einige Mitglieder unserer Gruppe fliegen noch mit hinunter, einige fahren mit den Ski ins Tal. Dann kommt der Heli ein drittes Mal, wir laden den letzten Toten ein. Inzwischen hat der Arzt das Zeichen gegeben, mit Beatmen aufzuhören, da keine Aussicht mehr bestand, sie zum Leben zurück zu holen. Ich steige mit noch zweien ein und komme zu meinem ersten Heliflug. Das Wetter hat sich in der Zwischenzeit soweit gebessert, dass der Heli normal auch Sicht fliegen kann und sich nicht mehr wie beim ersten Anflug mit Hilfe eines Bauern aus der Gegend von Baum zu Baum tasten muss. Auf dem Parkplatz von St. Antönien landen wir. Eine Menge Leute steht dort und schaut uns betreten zu, wie wir den Toten ausladen und ins Hotel Weisses Kreuz hinüberbringen. Ein Dicker Mann in einer jagdgrünen Heli Hansen Jacke will fragen stellen, doch wir sind zu erschöpft um zu sprechen. Ein Mitglied aus unserer Gruppe nimmt uns zusammen und schirmt uns von Fragen ab. Im Hotel Weisses Kreuz werden wir versorgt, der Heli fliegt mit einem Polizisten zur Unfallstelle. Im Saal neben dem Raum. Wo wir verpflegt werden, liegen die Toten auf den Tischen. Ihre Gesichter sehen völlig entspannt und friedlich aus. Ich rufe meine Eltern an um sie zu informieren. Sie wissen schon, dass ein Lawinenunglück passiert ist, sind aber nicht beunruhigt, weil sie unserer Vorsicht vertrauen.
Am Abend fahren wir heim. Mit Postauto und Bahn.


Der Gedenkstein auf dem Chlei Chrüz erinnert an der Stelle, wo die Lawine abgegangen ist, an die beiden schweren Lawinenunglücke, die sich hier ereignet haben. Elf Menschen sind dabei umgekommen.

Nie hat jemand gefragt, wie es uns geht, ob wir die Eindrücke verarbeitet hätten. Ich träumte während Jahren von Bildern, der in der Lawine verschütteten und als ich einmal in einem Eisenbahnabteil Kotze roch, geriet ich in Panik. Einen oder zwei Sommer später ging ich mit meiner damaligen Freundin zur Unfallstelle in der Hoffnung, die Bilder würden davon erschwinden. Doch das half nichts. Nach 20 Jahren war die Tour aufs Chrüz bei unserer SAC Sektion auf dem Tourenprogramm. Da ging ich mit. Ich erhoffte mir nicht viel, aber als ich den Stein sah, der zur Erinnerung an das Unglück errichtet wurde, er ist wie eine ganz kleine Kappelle, und sah, dass im Giebelbereich bereits der Zahn der Zeit genagt hat, da fiel etwas von mir ab. Ich fühlte mich plötzlich ganz leicht. Dieser eine Stein, der aus einem Giebel herausgebrochen ist, hat mich von den Albträumen erlöst. Seither habe ich nie mehr von dem Lawinenunglück geträumt.

Mit Gabriele plaudere ich beim Wandern und erzähle ihr was mir aus der Erinnerung aufsteigt.


Für mich ist es inzwischen ein normaler Berg geworden, mit einer speziellen Geschichte und einer nach NO gerichteten Mulde, die schon elf Menschen das Leben gekostet hat.

Donnerstag, 3. September 2009


Absturz am Guferjoch

Hier am Guferjoch ist am 25. Juli 09 ein Bekannter von mir bei einer einsamen Kletterei zu Tode gestürzt. Er war ein sehr erfahrener Alpinist und muss kurz vor Ende der Tour hier beim Abstieg abgestürzt sein.


Das Gwächtenhorn mit seinem imposanten Eisbuckel.

Hier sieht man das Wendenhorn der Blick geht auf den  Südostgrat. Links davon die Fünffingerstöcke, die bei dem herrlichen Wetter am Dienstag alle Finger - mehr als fünf - von sich gestreckt haben.
Der besonnte Grateinschnitt links im Bild ist das Guferjoch von Osten.



Am 1.9.09 besuche ich den Sutenlochspitz, wo vor ca. 4 Wochen T.G. abgestürzt ist.
Ein Jäger, den ich beim Aufstieg antreffe, erwähnt den genauen Ort, das Guferjoch auf ca. 2500 m.ü.M.


Das Guferjoch ist ein Übergang auf dem Weg vom Sustenpass zur Sustlihütte. Ein weiss – blau – weiss bezeichneter Bergpfad führt durch eine wilde Landschaft, über Reste der abschmelzenden Gletscher und über festes, wie auch sehr brüchiges Gestein. Der Grat, der vom Guferjoch hinauf aus den Sustenlochspitz führt, scheint schon von Weitem nicht von gutem Fels zu sein. Er wird im Führer mit –IV 2 ½ Std. ab Einstieg angegeben, im unteren Teil grasig, im obern Teil lohnend.
Ich steige vom P. 2130 an der Sustenstrasse hinauf, über Schafweiden und dann weiter über den kompakten Granitgrat, der weder direkt zum Guferjoch führt, noch in Richtung Sustenpss abzweigt.
Im Süden protzt das Gwächtenhorn mit seinem scheinbar unvergänglich Gletscherleuchten, das Eis zieht in einem eleganten Bogen zum Sustenhorn, dessen Gipfel aber nach Norden hin seine dunkle Seite zeigt. Auf einem Felssporn sitzt wie eine Fliege auf der Nase eines Riesen die Trifthütte, zu beiden Seiten umflossen von zerschrundeten Gletschern. Todesmutig stürzt sich der Steingletscher in die Tiefe des Haslitales, dessen warmer Empfang ihm gar nicht wohl bekommt. Er verwandelt sich zuletzt in eine braune, schmutzige Masse, ein Gemisch von Eis und Geröll, die keinen klaren Übergang zwischen den Elementen mehr zulässt.
Von einem schönen Aussichtspunkt auf 2550 m.ü.M. blicke ich hinüber zum Guferjoch und überlege, was da wohl passiert sein könnte. Der kleine, von Geröll übersäte Gletscherfirn, der sich bis dicht unters Joch hinzieht, dürfte mit den eingeschlossenen Steinen genügend Halt bieten um darauf sicher den Übergang zum festeren Fels zu schaffen. Der Übergang selbst sieht steil aus, doch entdecke ich mit dem Feldstecher eine geschwungene Linie über dem Fels. Offenbar ist er mit einem Seil oder einer Kette gesichert. Ich steige mehr oder weniger entlang der weiss – blau – weissen Routenmarkierung in Richtung Guferjoch, der Weg führt über Eis und viel brüchigen Fels, wo ich hintrete rollt etwas unter meinen Füssen in die Tiefe, nichts scheint hier mehr Beständigkeit zu haben, alles ist in Bewegung. Beim Guferjoch selber legt sich der Fels etwas weiter zurück als es von weitem den Anschein gemacht hatte und wie oft auf hochalpinen Routen sieht es von Nahem weniger schwierig aus als aus der Ferne. Doch ausser den paar vom Gletscher rund geschliffenen Granitwülsten, die es entlang der Kette zu übersteigen gilt, scheint sich der Berg hier von seiner äusseren Haut befreien zu wollen. Was nicht in seiner kugeligen Urform gewahrt wird bricht auf, zersplittert und stürzt in die Tiefe, bis es auf andere Brocken trifft, die den weitern Absturz für eine kurze Weile verhindern. Der Berg scheint sich von sich selbst befreien zu wollen. Kein Stein, auf den ich trete, bleibt wo ist, jeder noch so mächtige Brocken, dem ich meinen Tritt anvertraue, fängt an zu schwingen, gerät einer ins Rutschen, reisst er gleich noch die Steine über sich mit in die Tiefe, denen er ein Weiterstürzen verhindert hatte, und die nun ohne einen fremden Halt ihre Reise zu Tale fortsetzen. Über diese lose Landschaft steige ich hoch bis ich festen Fels unter den Füssen habe. Hier muss T.G. nach einem Sturz von 20 bis 30 Metern über ziemlich glatte Granitwülste wohl aufgeschlagen haben. Mitten in diesem von Geröll und Felssplittern übersäten Eisfeld muss sein Körper zu liegen gekommen sein. Er muss stark geblutet habe. Knochen gebrochen haben. Ob er sofort tot gewesen ist kann ich nicht abschätzen, mit etwas Glück haben Bergsteiger schon höhere Stürze überlebt, doch hier wird der abstürzende Körper nicht von einem weichen Schneefeld empfangen, keine flockigen Staubwolken aus frischen Pulverschnee umfangen den zerbrechlichen menschlichen Körper, sondern eine schafkantige, erbarmungslose Härte, auf die ein Körper mit Wucht aufschlägt. Auf dem rauhen Fels wird er zerschunden, in den weichen menschlichen Körper graben sich spitze Steine ein, zerreissen ihn, zermahlen ihn schlagen mit ihm stürzend auf ihn ein und auch moderne Bekleidung oder ein Helm bietet nur weinig Schutz wenn ein Mensch Teil einer zu Tale stürzenden Masse aus Fels und Schutt wird. Ich gehe auf dem Firn umher, bis ich unter einem der Steine, die sich hier ins Eis eingeschmolzen haben, eine eineinhalb Liter Petflasche finde. Sie ist zusammengedrückt und sieht ziemlich mitgenommen aus. In der verblieben Höhlung ist eine braune Flüssigkeit, die sich beim Riechen als Eistee definieren lässt. Ist das T.G.’s Flasche gewesen? Wer lässt seine Trinkflasche liegen? Wer nimmt sie auf dem Weg zur Sustlihütte auf oder in Richtung Sustenpass auf nicht mit? Vielleicht ist sie jemandem vom Joch aus heruntergefallen, der sich nicht die Mühe machen wollte nochmals vom festen Granit aus zu den in Umwälzung befindlichen losen Brocken hinunter zu klettern. Es wäre auch denkbar, dass es die Flasche von T.G. war, dass er beim Trinken ausgerutscht ist , die Flasche schon fast zugedreht, er drauf gefallen und sie seinen Sturz noch etwas gedämpft hatte. Vielleicht hat auch nur jemand die Flasche vergessen einzupacken.



Auf dem Friedhof Göschenen fand ich diese schöne Broncetafel.
Ob Joseph Maria Gamma in den Bergen verunfallt ist, oder an etwas anderem gestorben ist geht aus der Schrift nicht hervor, allerdings deutet die Tatsache, dass er so als Bergführer, als treuer Freund und Gefährte beschrieben wird, auf einen Zusammenhang mit dem Beruf hin.