Montag, 31. August 2009

Interview Raimund und Erika Steinhoff Konstanz


Ich kenne Erika und Raimund Steinhoff seit einem Lawinenunfall am Prättigauer Chrüz vom 27. 2.83. Raimund war damals nicht in der verunfallten Gruppe dabei, war aber als 2. Vorsitzender der Sektion Konstanz des Deutschen Alpen Vereins und als Schriftenführer für die Aufarbeitung und Dokumentation des Unfalles verantwortlich.

Ich war damals in der Gruppe Schweizer Tourenfahrer, welche die Rettung und Bergung der deutschen Gruppe durchgeführt hat. Als Folge und zum Dank wurden wir von der Sektion Konstanz in ihre Clubhütte Gauenhütte im Montafon eingeladen, wo ich Raimund kennen lernte. Später haben wir einige gemeinsame Touren unternommen. Pollux, Grand Combin etc.
Der Unfall am Chrüz füllte die Medien, waren doch 5 Bergsteiger dabei umgekommen unter ihnen der erste Staatsanwalt von Konstanz. Die Meldungen erweisen sich als weitgehend unexakt, zum Teil erfunden, Zeugen wurden Aussagen in den Mund gelegt und Bauer Jenni wurde von einigen Zeitungen schlicht zum Zeugen gemacht. Er soll die Gruppe gewarnt haben, was gar nicht möglich war. Er war zum entsprechenden Zeitpunkt oben am Skilift an der Arbeit und die Konstanzer Gruppe hatte den Skilift vor der Bergstation verlassen.

Raimund Steinhoff hat alle 47 4000-er der Schweizer Alpen bestiegen. Er war 34 Jahre im Vorstand des DAV Konstanz, davon 10 Jahre als 1. Vorsitzender. Er ist heute ein rüstiger 76-jähriger. Seine Frau Erika ging in früheren Jahren eher auf leichtere Touren mit, später begleitete sie ihren Mann aber auch auf schwere Touren. So blieb sie am Schreckhorn nur aus Vernuftsgründen in der Hütte, weil eine Dreierseilschaft zu langsam gewesen wäre. Raimund ging mit seinem Freund Georg Bernhardt als Zweierseilschaft.

Im September 1987 hat Raimund Steinhoff mit seinem langjährigen Tourenbegleiter Georg Bernhardt eine Tour aufs Schreckhorn gemacht. Beim Abseilen lösste sich ein Haken oder eine Seilschlinge riss, und Georg Bernhardt stürzte 300 Meter tief auf den Gletscher. Die ganz genaue Unfallursache wurde nie geklärt, es war aber ein klarer Abseilunfall. Raimund stieg ungesichert die 300 Meter bis zu seinem Freund ab. Erika wartete in dieser Zeit in der Hütte. Ein Bergführer, der Unregelmässigkeiten bei ihrem Abstieg beobachtet hatte, alarmierte die Rettungskräfte.

Das Ehepaar Steinhoff wohnt in einer kleinen Eigentumswohnung in einem Aussenquartier von Konstanz. Nahe am See, in einer ruhigen Wohngegend. Die Wohnung sieht so aus, als sei gerade das Möbelhaus vorgefahren und habe die Einrichtung akurat hingestellt. Alles ist ordentlich, an den Wänden hängen Bergfotos. Einige zeigen den Sohn Michael, der Bergführer geworden ist, den Beruf aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann. Sie haben noch ein Tochter, Corinna, die mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Konstanzer Altstadt wohnt.
Als ich anrief um ein Interview zu erbeten waren sie sofort bereit über die Dinge zu sprechen.
Wir setzen uns an einen Tisch mit Eckbank und einer gehäkelten Tischdecke drauf.
Erika reagiert auf meine Fragen oft schneller als Raimund und ergänzt manches, was er sagt. Inhaltlich sind sie aber in jedem Punkt kongruent.
Im Zentrum meines Interviews steht die Frage: Wie gehen die Familien mit der Nachricht vom Bergtod eines Angehörigen um? Aber wir reden rund um die vielen Unfälle, in welche die Sektion Konstanz mit ihren ca. 6000 Mitgliedern verwickelt war. Daneben frischen wir auch Erinnerungen auf an gemeinsame Bergtouren und gleichen unsere Erfahrungen ab in Bezug auf das Bergsteigen allgemein und speziell in Bezug auf dessen Gefahren.

Wie wurden die Familien vom Tod ihrer Angehörigen benachrichtigt?
R: Ich übernahm die Aufgabe, die Angehörigen zu benachrichtigen, als ich den Anruf vom 1. Vorsitzenden bekam. Fritz Schaffheutle, 1. Vorsitzender war so geschockt, dass er dazu nicht in der Lage war. Ich bin dann zu den Leuten hingegangen. Der verunfallte Eugen Stadelhofer arbeitete als Schreinermeister im gleichen Betrieb wie ich. Er im Der Werkstatt, ich im Büro, da haben wir uns sehr gut gekannt. Erika und ich fuhren von einer Familie zur Nächsten.
Raimund legt im Gespräch lange Pausen ein.
R: Ich hatte 1 Woche nach dem Unfall am Chrütz am Ort einen Rutschkeil gegraben und mit dem angeblichen Informanten Jenni gesprochen.

Der Bauer Jenni hat seine Aussage ja dementiert.
R: Ja, der war oben am Skilift und die Gruppe hatte den Lift vor der Bergstation verlassen.
E: Ja aber wie gehen die Leute mit der Nachricht um?
R: Schwer, das ist ja auch ganz verschieden. Beim Unfall Kohler hat sich ein ehemaliger drogensüchtiger Sohn in der Folge des Unfalls das Leben genommen. Der hat das nicht verkraftet. Der Kohler hat den Sohn da rausgeholt und dann war das einfach zuviel.

Wie reagierten die Leute, die am Chrüz jemanden verloren hatten?
R: Manche hatten mit so was gerechnet, weil die Leute viel im Winter unterwegs waren. Andere waren schockiert.
E: Die Christa.
R: Ja die Christa war aus der Fassung.
E. Einige von uns waren in einem Sommer davor dort und sagte: Da muss der Schnee ganz gut sein, dass man da hindurch kann. Das ist so steil und sie war aber von Westen her hochgekommen. Dann sieht man in diese dunkle Mulde, und die ist ja schon sehr steil.

R: Es war (an jenem 27.2.83) ja auch das Chüenihorn vorgesehen. Die wollten gar nicht aufs Chrüz. Aber bei dem Nebel wollte der Tourenleiter nicht die Verantwortung übernehmen, die Route durch die Lawinenverbauungen zu finden. Dabei wäre das im Nachhinein wohl sicherer gewesen. Ich wollte an dem Tag mit Erika auf den Piz Medel, und als ich gesehen habe, dass es so warm geworden war, habe ich die Tour abgesagt. Ich habe das früher schon erlebt, dass ich bei solcher Wärme durch einen Hang gegangen bin, und gleich danach kam der ganz Hang in die Tiefe gerutscht. Etwas später wären alle drunter gewesen. So habe ich an diesem Tag die Tour abgesagt.

E: Ja, wie haben die reagiert? Lore ist ja im Schnee umgekommen. Die haben 3 Kinder, die waren fast erwachsen, so 15 – 19. Die waren zuhause. Erst waren die mal ganz still. Die konnten das erst mal gar nicht fassen dass die Mutter umgekommen ist.
R: Der Vater war ja auch in der Lawine und die Mutter ist umgekommen.

Stellt man sich in der Situation nicht die Sinnfrage?
R: Da kommen schon Bedenken und Vorsicht ist immer richtig. Wir sind seither viel vorsichtiger geworden. Also ohne den Lawinenbericht und Wetterbericht zu hören gehe ich auf keine Tour mehr. Und dann habe ich mich entschieden, nur noch auf Hochtouren auf Gletschern zu gehen, wo keine Lawinen kommen können. Aber weißt du noch, als am Grand Combin die Düsenjäger drüber gekracht sind, und das hat getönt wie ein Eisschlag, da bin ich schon erschrocken. (Raimund und ich haben gemeinsam 1986 die berüchtigte Corridor – Route am Grand Combin gemacht, und genau als wir unter Eistürmen, die einzustürzen drohten, durchgingen wurden wir vom Lärm der Kampfjets erschreckt)
E: Ja, stellen wir uns die Frage nach dem Sinn? Nein, ich glaube, wir gehen so gerne, dass wir einfach wieder gehen.
R: Ja, dass man wieder geht. Aber eine gewisse Zeit brauchte ich dann schon. Nach dem Unglück am Schreckhorn hätte ich eine Woche später eine Tour führen sollen, da war ich nicht in der Lage.
E: Ja das war für dich noch krasser. Denkpause. Helga Fleischhauer hat, als ihr Mann mit den Ski abgestürzt ist sogar in der Todesanzeige geschrieben, dass sie wieder gehen will, hat es dann aber doch nicht gemacht.
R: Das war so eine Trotzreaktion. Kann sein, dass man einen Moment denkt, man geht nicht mehr, doch man geht meist doch wieder. Die echten Probleme kommen dann ja erst.
E: Beim Kohler war ja sein Sohn, der immer Probleme machte, und der drogensüchtig war, den hatte er da rausgeholt, und der hat sich nach dem Tod des Vaters das Leben genommen. Das war für die Mutter natürlich noch schlimmer.

Gibt es noch so eine Heroisierung, wie in der Frühzeit des Alpinismus?
R: Glaub ich nicht, das ist doch vorbei.
E: Heute denkt man eher an die Angehörigen.
R: Schillinger und auch Bäumle, der in der Lawine war, mit denen sind wir viel zusammen gewesen, viel zusammen gelaufen, das brauchten die um sich auszusprechen zu können.
E: Ja die, die viel darüber gesprochen haben sind auch besser darüber hinweggekommen.

Wie hat sich euer Verhältnis zu den Hinterbliebendurch die Unfälle verändert?
R: Am Chrütz war es ja eine gemeinsame Skitour, die haben das gemeinsam entschieden. Auf dem Parkplatz entschieden sie sich, nicht das Chüenihorn zu besteigen, nachdem der Tourenleiter schon vorher gezögert hatte. Er traute sich nicht, den Weg durch die Lawinenverbauungen im Nebel auf das Chüenihorn zu finden. Dann haben sie gemeinsam entschieden aufs Chrütz zu gehen. Aber es war eine gemeinsame Tour. Keiner war für die Tour wirklich verantwortlich.
E: Obwohl das Chüenishorn wohl ungefährlicher gewesen wäre.
R: Ja im Nachhinein. Erika und ich waren eine Woche nach dem Unfall am Chrütz wir haben da noch Sachen von den Verunfallten gefunden und einen Rutschkeil gegraben.
Denkpause
R: Der Keil ging sofort ab, da war nach einer langen Schönwetterperiode eine harte Schicht im Schnee und Saharasand drauf. Darauf ist das dann abgegangen.
Denkpause
Die Hinterblieben treffen so im Advent zusammen, gehen zusammen ins Theater oder so, nach St. Gallen.
Denkpause
Wir hatten dieses Jahr nochmals einen Gedenkgottesdienst, da sind aber nicht mehr alle Hinterbliebenen und Überlebenden gekommen. Die Frau vom Dirk Feistkorn kam nicht und Christa ist damals auch nicht zum Gauenhütte gekommen, sie sagte schon damals: „Das tu ich mir nicht an.“ Ja die hatten ja auch eine schwere Zeit zusammen.
R: Ja aber das ging in dem Moment ja aber besser.
E: Angelika Stadelhofer ging ja hin, in die Schweiz, hat sich den Eugen (der am Chrüz umgekommen ist) noch vor Ort angesehen bevor der Sarg zugemacht wird, ist in die Schweiz gefahren, Angelika. Die erzählt auch immer alles was sie fühlt und dann ist sie es los, dann ist es fertig.

Gibt es eine Art Psychogramm, von Frauen, die Männer heiraten die gefährliche Dinge machen?
R: Nein, das glaube ich nicht, die meisten fingen erst an gefährliche Dinge zu machen, nach der Eheschliessung.
E: Fritz Schaffheutle hatte seiner Frau zur Bedingung gemacht, dass er weiterhin in die Berge gehen kann. Herta, seine Frau ist eine ganz liebe, ruhige Frau, die einfach mitgewandert ist.
R: Du hast mich auch nicht geheiratet, in der Erwartung, dass ich vom Matterhorn abstürze.
E: Nein, aber wenn ich allein zuhause war, war das schon oft schwierig, zu warten, wenn’s mal später wurde. Man würde dann am liebsten anrufen, und man kann nicht.
R: Ja das ist heute einfacher, mit dem Handy kann man auch anrufen.

Wie war die Presseberichterstattung?
R: Südkurrier war’s ja ziemlich sachlich, aber in der Bildzeitung war das ganz reisserisch aufgemacht, mit dem Bauer Jenni, der die Gruppe angeblich gewarnt haben soll. Ich habe eine Woche später mit dem Bauern Jenni gesprochen, der hat zwar die Gruppe von weitem aufsteigen sehen, doch hat er nie mit ihnen gesprochen. Ich habe dann verlangt, dass sie diese Aussage zurücknehmen und das haben sie dann auch gemacht. So zwei Zeilen unten links, die natürlich kein Mensch liesst. Bildzeitung halt, nicht besser als der Blick.
Dann haben wir hier das Eidgenössische Schnee und Lawinen Forschungsinstitut. Ich habe da halt alles so gesammelt, was kam.

Da! –Wir sehen ein Bild, wo ich drauf bin.
Ich: Das war. Als wir die Leute aus dem Helikopter ausgeladen haben. Da wird mir ein Interview mit völlig falschen Aussagen in den Mund gelegt!
E: Da ist fast bei allen Texten etwas falsch.

Raimund übergibt mir einen ganzen Ordner mit Zeitungsausschnitten und Protokollen der Polizei zu verschiedenen Bergunfällen, welche die Sektion Konstanz betreffen.

R: Todesanzeigen brauchst Du wahrscheinlich nicht.
Ich: Doch, weil ich die Bilder suche, ich suche danach, wie man den Tod behandelt, was für Bilder und Gedenksarten gibt.
R: Von Kohlers Absturzstelle gibt es noch ein Dia.

Gibt es einen Gerichtsentscheid vom Unfall am Chrüz?
Ja es gibt den Gerichtsentscheid, dass der dann da freigesprochen wurde.
(Da die Gruppe beschlossen hatte gemeinsam eine andere Tour als die geplante zu machen und der vorherige Tourenleiter die Tour aufs Chrüz nicht kannte und auch keine Karte vorhanden war ging das Gericht nicht mehr von einer Sektionstour aus sondern von einer gemeinsam in geteilter Verantwortung unternommenen Tour. Ausserdem war der ursprüngliche Tourenleiter Eugen Stadelhofer ums Leben gekommen.)

Wie war die versicherungsmässige Situation?
Ja das wurde vom Alpenverein übernommen. Jetzt wurde die Summe heraufgesetzt und der Verein übernimmt damit Bergrettung und Suchkosten, damit sind die meisten Fälle gedeckt.

Wie nimmt die Szene ausserhalb den Alpinismus wahr,
R: Viele Betrachten das als Leichtsinn.
E: Ja, vor allem nach dem Unfall. Warum geht der mit 60 noch aufs Schreckhorn?
R: Ich war noch jünger, aber Georg war 60.
E: Ja, viele sagen schon, das muss sein wie eine Sucht, das macht leichtsinnig.
R: Ja da gibt es schon Unverständnis.

Stört euch das?

R+E: Nein, ich würde sagen, die haben einfach keine Ahnung, die können das einfach nicht entscheiden. Nein, also das stört uns eigentlich nicht wirklich, wir wissen ja, was wir da tun.
R: Ich wollte mal die Überschreitung des Lysskamms machen, ich wollte das unangeseilt machen, weil man da einen der abstürzt nicht halten kann. Da kamen dann statt der sieben, die auf der Monterosahütte waren nur drei mit. Einer entschied sich erst am Morgen, die Tour zu wagen, er hatte einfach ein gutes Gefühl, das er am Abend nicht nicht abrufen konnte. Wenn da einer stürzt, reisst die andern einfach mit. Wir haben dann die schwierigsten Stellen seilfrei gemacht, und ich habe dann immer wieder geschaut, wie die gehen. Also da war’s dann wirklich steil und sehr schmal. Und als ich schaute: ganz toll! Die gingen also ganz toll, so konzentriert. (Die Überschreitung des Lysskamms ist wesentlich schwieriger als der Südpfeiler des Schreckhorns.)
Ich: Ja, wenn einem nicht ein Steigeisenbindung reisst, wie dir am Grand Combin.
R: Ja. (lacht)

Ich : Am Grand Combin haben wir das ja auch so abgemacht. Die stark eisschlaggefährdete Corridorroute nur unangeseilt, Tempo und durch.
R: Ja, das war sicherer, jeder so schnell wie möglich. Diskussion, das Risiko abschätzen. Gefühl braucht es auch, damit man das Risiko abschätzen kann.
Ich: Der Schweizer Lawinenexperte Werner Muter sagt auch immer: Hört auf euer Gefühl, das hilf mehr als ihr glaubt.
R: Oft spürt man, ob es gut ist, die Intuition hilft oft.
E: Mit einem guten Gefühl kann man’s ja auch besser, man wird lockerer.

Ich: Beim alleine Klettern habe ich gemerkt, wie viel Aufmerksamkeit die Seilhandhabung braucht, die man eigentlich fürs Klettern brauchen würde.
R: Ja.
Ich: Das Seil verursacht bei nicht sehr guter und sachgemässer Handhabung häufig Steinschlag, der auch sehr gefährlich werden kann.
R: Ja-. Beim Nachziehen, Ja, im brüchigen Gestein ist es gefährlich.
E: Oft spürt man vorher, was kommen wird, oder dass etwas los ist. Ich hab’s am Schreckhorn ja auch gespürt.


Ich Wie weit ist Alpinismus Lebenssehnsucht und wie weit es Todessehnsucht?
E.: Todessehnsucht Gar nicht!
R: Bei uns gar nicht, da müsste einer schon Selbstmordabsichten gehabt haben. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.
E: Nein, dann würden wir nicht gehen. Man bereitet sich vor und hat Spass daran.

Kommt es vor, dass euch Todessehnsucht unterstellt wird?
R+E: Nein, man macht es für sein Leben und bereitet sich vor und hat Spass daran.

R: Die 4000-er der Schweiz habe ich alle bestiegen, aber ausser beim Schreckhorn hatte ich nie Probleme. Beim Absturz von Georg am Schreckhorn kam in mir eine gewisse Unsicherheit auf. Und zwar ein Zittern beim Klettern. (er zeigt, wie er vom Eindruck des Ereignisses zusammengekrümmt wurde und zitterte) Das war bei der 3. Abseilstelle. Ich war schon weiter abgeklettert und hatte einen schlechten Stand. Da war ein Schneefeld, das habe ich gequert. Dann rief er: „Du hast ja einen Hacken übersehen,“ den benützte er dann und hängte das Seil dort ein. Als er ins Seil hing musste sich das dann gelöst haben, ich weiss nicht, ob der Hacken nicht richtig gesteckt hatte oder eine Schlinge nicht gut war. Er stürzte an mir vorbei. Das Seil wirbelte weit in der Luft. Er hat noch geschrieen. Mit Seilschlingen bin ich immer vorsichtig, wenn die nicht gut ist kann das brechen. Wenn da vorher ein Seil abgezogen wurde wird, das versengt die Schlinge und das hält dann nicht mehr. Den Haken hat man nicht gefunden. Ich war da schon eine Seillänge tiefer.
E: Also genau weiss man das nicht, aber es war ein klarer Abseilunfall.

Ist die Polizei hochgegangen?
Die waren da oben, die haben ihn dann geborgen und ich bin dann dort geblieben, bis sie mich auch geholt haben. Sie habe gesagt, der Gletscher sei arg zerschrundet und ich solle auf alle Fälle bleiben, und nicht unangeseilt zur Hütte zurückgehen. Die sind noch mal hochgeflogen, nur ganz kurz um sich das anzusehen, der Bergführer hing da am Seil, dann war ihm schnell klar, was passiert ist, ein reiner Abseilunfall.

Gab’s eine Untersuchung?
R: Nee, die haben da meine Schilderung gehört. Und als der Bergführer festgestellt hatte dass das zu stimmen scheint, gab’s dann keine Untersuchung.
E. Ja wir mussten unten dann schon noch etwas zu Protokoll geben.
Denkpause
R: Das war sein letzter 4000 er- Ja der hatte alle.
E: Der Georg?
R: Ja, Schreckhorn hatte er schon einmal versucht, das hatte nicht geklappt. Ich wollte eigentlich aufs Täschhorn. Dazu hätten wir einen weiteren Urlaubstag gebraucht. So sind wir eben aufs Schreckhorn gegangen. Zu dritt hätte die Zeit nicht ausgereicht. Erika war auf der Hütte. Erika hätte auch mitkommen können, aber die Tour ist schwierig, da musste man alles sichern, zu dritt hätte man doppelt sichern müssen, dazu reicht die Zeit nicht.
E: Also das war ein Dreier in der Höhe und ausgesetzt, das hatte ich bisher noch nicht gemacht. Also gereut hat es mich nicht wirklich, ich wusste, dass es schwer war.
Die Männer haben gesagt, dass es laut Führer 7 Stunden sind bis zum Gipfel, das ist schon lang und in der Höhe und so sagte ich mir eben, dann lassen wir das.
Ich habe vor der Hütte gesessen und habe gelesen, doch plötzlich konnte ich nicht mehr lesen. Ich wurde so nervös.
R: Da war ja noch ein Bergführer unterwegs mit zwei Kunden.
E: Da dachte ich, warum bin ich plötzlich so unruhig und dann ging’s auch nicht lange, bis die Klienten vom Bergführer kamen und ich fragte sie, warum sie alleine kommen. Die sagten, ihr Bergführer wollte das noch beobachten, was die andern da oben tun. Der Bergführer hatte gesagt, dass da oben was nicht stimmt. Der hatte gesehen, dass da etwas nicht stimmt. Dann kam auch gleich der Hubschrauber...
R: Ja das waren zwei Hubschrauber, der erste war mit Gästen unterwegs, der flog gleich drüber hinweg, und der zweite war dann der Rettungshubschrauber.
E: ...da war ich heilfroh, als dann Raimund ausstieg, aber wie! Der konnte kaum mehr gehen... nass und ganz gebückt.
R: Ja, ich war ganz nass, ich musste da einen Wasserfall queren und ich habe dann da oben gewartet. Ich war die ganze Strecke bis zum George abgeklettert. Die ganze Kante und dann die Rampe. Zwei Stunden habe ich dafür gebraucht. Bis ich bei ihm war. Da habe ich ihn dann gefunden, wo er tot war.
E: Der Bergführer hat beobachtet, dass nur einer von den beiden absteigt.
R: Beim Raufklettern hatten wir kaum Schwierigkeiten. Normalerweise probiere ich immer ob die Haken richtig sitzen. - (Zeigt ein Bild vom Schreckhorn) Der Bergführer war auch oben, die waren aber schneller im Abstieg und er hat dann von unten gesehen, dass bei uns etwas nicht stimmte, weil nur einer abgestiegen war.
E: Da sieht man die Absturzstelle und den ganzen Weg, den Georg abgestürzt ist und die Kante über die Raimund ungesichert abgeklettert ist.

E: Die haben versucht, mit ihrem Führer zu sprechen, aber der hat sie nicht gehört. Ich konnte auch den Grat sehen, aber ich habe nichts gehört.
R: Aber er hat sie gesehen.

Ich weiss nicht wie nahe das zusammen ist, von der Schreckhornhütte zum Grat.
R: So tausend Meter.
E: Nein das reicht nicht. Ja man geht von der ist die Schreckhornhütte.
R: Früher war es die Strahlegghütte, aber die gibt’s nur noch als Ruine. Ich bin da mit Erika später nochmals hochgegangen, weil man da von der Ruine der Strahlegghütte aus das Schreckhorn so schön einsieht.

Ich fotografiere ihn, wie er auf dem Bild zeigt, wo’s passiert ist, er erzählt mit ruhiger Stimme und zeigt, wo er abgestiegen ist.

R: Ich habe mal eine Tour geführt zum Dürrenhorn, da habe ich gemerkt, dass der Schnee zu weich wurde, da habe ich im Abstieg nur drei Seile zusammengebunden und oben zur Fixierung einen Pickel vergraben. Ich habe dann den Leuten gesagt, sie sollen nicht mehr einseilen, sondern nur schnell am fixen Seil absteigen. Und wirklich, als Erika als letzte runterkam ging dann die Lawine ab und hat sie mitgerissen, weit über den Bergschrund hinaus und sie hatte nur ne kleine Schramme ab. Das war aber sicherer als wenn alle am gleichen Seil eingebunden gewesen wären. Weil dann hätte es alle mitgerissen.
E: Ja, ein Glas von der Gletscherbrille war weg, der Helm war aber noch auf. (lacht)
R: Ja ich ging dann wieder hoch zum den Pickel holen und dann sind wir nur noch schnell abgestiegen.

R: Ja man weiss es vorher oft nicht richtig, dass es im Sommer Lawinen geben kann.
Ich erwähne ein Unfallserie am Montblanc und das Jungfrauunglück mit den sechs Soldaten vom Sommer 2007 und den Unfall vom Frühsommer 2009 am Palü. Bei diesen Unfällen sind im Sommer Schneebretter losgegangen.

E: Ja man wird da schon viel vorsichtiger,
R: Ja die Schweizer Armeebergführer, die haben das an der Jungfrau einfach durchgezogen.

Wie ist denn das mit der Gruppendynamik? Verhält man sich auch in den Bergen anders, wenn man in einer Gruppe ist. Dass man sich hochpuscht.
E: Das geht schon los, wenn man losgeht, dann gehen sie schon alle schnell, sieht ja schlecht aus, wenn man als letzter geht. Und so geht das weiter. Jeder will zuforderst gehen. Wenn ich alleine gehe, frage ich mich ob ich das kann oder ob’s zu gefährlich wird.
R: Keiner will kneifen.
E: Und so geht das weiter, da in der Gruppe fühlt man sich sicherer. Wenn ich allein gehe, dann bin ich schon vorsichtiger, aber in der Gruppe sagt auch keiner je etwas, Frauen sagen schon eher mal dass ihnen was nicht gefällt, aber Männer sagen da nie etwas, die wollen einfach hochgehen.
R: In der Gruppe fühlt man sich schon sicherer.
E: Man denkt in der Gruppe nicht mehr dran.
R: Grad durch solche Erlebnisse wird man noch vorsichtiger.

Ich erzähle von meiner Lawinenverschüttung, da wirkt Raimund viel betroffener als bei der Erzählung seiner eigenen Geschichte.

Raimund führt noch kleinere Touren, er hat Artrose in den Fingern und kann so nicht mehr klettern.
R: So kann ich nicht mehr zum Matterhorn hoch. Skitouren, das geht noch und wandern.
E: Jede Woche treffen wir uns mit dem Alpenverein. Einmal zum Wandern und einmal zum Radfahren. Dann war ich mit den Senioren zum Mattstock. Klettern strengt uns mehr als früher.

Raimund will nochmals wissen, wie wir die Gruppe am Chrüz gefunden haben. Ich erzähle, wie es aus unserer Sicht war.
Ich: Die Zahl der zu versorgenden war viel zu gross für uns. Zwei von uns sind ins Tal gefahren um Rettung zu organisieren. Etwa drei Leute waren nicht mehr einsatzfähig, als sie gesehen haben, was passiert ist, und 6 von uns waren wirklich in der Lage die Verunfallten zu suchen, auszugraben, zu beatmen und Herzmassage zu machen. Das war zu viel bei 9 Verschütteten. Die, welche wir zuerst gefunden hatten, bzw, die sich selbst ausgegraben hatten, und die überlebt hatten, waren nicht in der Lage zu helfen. Wir liessen sie auch soweit im Schnee stecken, dass sie atmen konnten um sich selber langsam auszugraben, damit wir uns den ganz Verschütteten widmen konnten. So blieben 6 Helfer für 5 Schwerstverletzte mit Herzstillstand und Ausfall der Atemfunktion.

Die Zeit, die ich brauchte um die Geschichte zu überwinden vergleicht Erika mit den Geschichten der Kriegstraumatisierten. Darüber sprechen wir, dass es lange Zeit braucht um diese Erlebnisse zu verarbeiten.

Ich erzähle die Geschichte von Thierry Jaccard, Raimund bestätigt, das spätberufene Bergsteiger forscher gehen als solche, die jung anfangen.

R: Mir hatte die Sektion zum Abschied aus dem Vorstand einen Alpenrundflug geschenkt, da habe ich viele Fotos gemacht. Das waren noch die Diafilme, Erika hat immer nachgeladen. 6 Stunden sind wir über alle 4000-er geflogen, die ich bestiegen habe.

Am Abend:

Nach dem Besuch bei ihren Eltern traf ich noch Corinna Steinhoff. Als ich sie fragte, wie ihr Vater damals auf den Unfall am Schreckhorn reagierte, sagte sie, indem sie laut ausrief: "Ja da wurde er erstmals in seinem Leben menschlich!" In Ihm soll der Unfall eine Veränderung ausgelösst haben, dass er auf die Pflege von Sachwerten weniger Energie verwendet und sich vermehrt um Menschen kümmert, sich den Enkeln widmet uns gelernt hat, auch mal eine Fünf gerade sein zu lassen.

1 Kommentar:

  1. Ich wollte da auch mitgehen mit meinen damals jungen 18 Jahren zu der Tour, die dann kurzfristig zum Chrüz führte. Aber das Wetter war so "granatenschlecht" das ich mich abgemeldet hatte. Welch ein Glück! Es war die erste sehr nahe Erfahrung mit Tod am Berg. Mehr als ein Duzend Kameraden verlor ich ich den darauffolgenden ca. 10 sehr intensiven Bergjahren... Als damals junger Mensch hat mich das sehr entscheidend geprägt.

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